"..es war interessant, beeindruckend und spannend, wie einfühlsam diese junge Ausnahmepianistin dem Komponisten und seiner Zeit gerecht wurde. Das zarteste Pianissimo verschmolz mit dem Rauschen der Bäume draußen …"
OSTERFRIESEN-ZEITUNG
| ENORMES TECHNISCHES KÖNNEN
I.WAGNER | KULTUR IN EMDEN UND DRUMHERUM
EMDEN: Ein ungewöhnliches Ereignis vollzog sich am Spätnachmittag des Sonntags in der Schweizer Kirche. Pianistin Olga Chelova spielte die 24 Etüden mit den Opus-Zahlen 10 und 25. Ein wagemutiges Unternehmen, gehören doch diese Etüden zum Artistischsten, was die Musikliteratur zu bieten hat. Kaum je hört man alle von ihnen als Gesamtwerk in großen Häusern. Und nun erklangen sie in der beschaulichen Schweizer Kirche, wo sich kaum 30 Zuhörer im Raum verloren.
Etüden sind dem Worte nach Übungsstücke. Doch Chopin löste sich von dieser Vorstellung und machte seine Etüden zu Virtuosenstücken, derart, dass man sich fragt, wie es möglich ist, diese hanebüchenen geforderten Griffe überhaupt zu spielen, zumal in diesem hohen Tempo.
Olga Chelova erwies sich hier als meisterlich im technischen Können. Sie spielte mit einer solch hohen Souveränität und Sicherheit, dass man aus dem Staunen gar nicht herauskam. Etüde für Etüde wurde unter ihren Händen zu einem großen Gesamtwerk aus 24 Teilen, gespickt mit Höchstschwierigkeiten.
Nehmen wir nur einmal die Etüde Nr. 1 in C-Dur, die für die Anatomie der rechten Hand geradezu eine Gefahr bedeutet, weil die raumgreifenden Akkordbrechungen ein beständiges Ausbreiten und Zusammenziehen der Hand erfordern. Abenteuerlich anzusehen – gerade auch wegen des Tempos. Der Komponist György Ligeti hat einmal in einem Gespräch angemerkt, dass es wohl niemanden gäbe, der jemals die erste Etüde von Chopin fehlerfrei gehört habe. Wenn nicht alles täuscht, hatte das Publikum am Sonntag genau dieses Vergnügen. Es war einfach unglaublich. Denn die nächste, die zweite Etüde, setzt den Schwierigkeitsgrad der ersten noch weiter fort. Die Etüde a-Moll ist geradezu gefürchtet, wie an folgender Anekdote dargelegt werden soll.
Der russische Pianist Swjatoslaw Richter (1915 bis 1997), von dem versichert wird, er habe über eine „Ehrfurcht gebietende Spieltechnik“ verfügt, soll beim Aufführen aller zwölf Etüden gezögert haben, diese zweite zu spielen und ließ sie deswegen manchmal einfach aus.
Nicht so Frau Chelova, die sich mit einer Art Todesmut in die kleinen, aber extrem anspruchsvollen Kompositionen stürzte. Nichts konnte sie abhalten, sie spielte wie in Trance. Dabei dominierte der gewaltige Grundton der Etüden in der unablässigen, etwa 1¼-stündigen Spieldauer. Eine Leistung, die ihresgleichen sucht.
| OLGA CHELOVA UND PHILIPPE ENTREMONT
THIERRY VAGNE | MUSIQUE CLASSIC | ÜBERSETZT AUS DEM FRANZÖSISCHEN
Diese Rezension bezieht sich auf die erste CD dieser Pianistin ukrainischer Herkunft, die erste CD mit einem reichhaltigen Programm, aufgenommen im vergangenen April.
Das Klavier hat einen schönen Klang, sehr "in der Tonart" für Interpretationen, die entschieden und direkt sind, ohne den Affekt, welchen man manchmal unter den Fingern der großen Namen findet. Die Qualität der Aufnahme ist sehr gut. Erst beim zweiten Hören spüren wir die Kohärenz des Diskurses innerhalb der Kreisleriana besser, mit sehr schönen inneren Momenten wie in der Nr. 4.
Wir schätzen die Paganini-Etüden von Liszt ebenso sehr, wie den richtigen Ansatz und den Sinn für Phrasen, wie zum Beispiel in „La Campanella“!
(…) Und dann ein junger Mann, ein gewisser Philippe Entremont, der sich seinem 87. Geburtstag nähert, um sich zu seiner "Schülerin" zu gesellen und die Brahms-Walzer zu vier Händen zu spielen... und es ist eine Lesart, die hervorragend timbriert ist, manchmal flott, fröhlich oder zart, mit absoluter Klarheit und einer verblüffenden Natürlichkeit. Wir haben die Walzer sofort wieder aufgelegt... eine sehr schöne Neos-Platte.
| OLGA CHELOVA (KLAVIER) UND PHILIPPE ENTREMONT (KLAVIER)
MICHAEL STRUCK / AUSZUG / DIE TONKUNST - REDAKTION
Schumann – Liszt – Brahms: Kreisleriana – Grandes études de Paganini – 16 Waltzes
NEOS Classics: NEOS 32102 (2021)
Olga Chelovas Debüt-CD fesselt in erster Linie durch die Einspielung von Robert Schumanns Kreisleriana op. 16. Diese Frédéric Chopin gewidmeten »Fantasien«, die durch E. T. A. Hoffmanns literarische Gestalt des am Zwiespalt zwischen »Kunst« und »Welt« leidenden genialen Kapellmeisters Johannes Kreisler inspiriert wurden, spielt die in Odessa geborene Pianistin so, dass man aufhorcht. Der bereits von Hoffmann selbst verwendete Titel Kreisleriana ist ja ein lateinisches Plural-Kunstwort, das man mit »Kreisler-Stücke«, »Kreisler-Erzählungen« oder – dem erwähnten Untertitel des Werkes entsprechend – mit »Kreisler-Fantasien« übersetzen kann. Zusammen mit der fast zeitgleich komponierten Humoreske op. 20 zählen die Kreisleriana zu den tief-, ja abgründigsten Klavierwerken Schumanns, die 1838/1839 gegen Ende seiner ersten großen Schaffensphase entstanden...
...Der 2. Satz erklingt innig und reflektiert, kantable Legatolinien, staccatiert tänzelnde Sechzehntel, eigenständige Bassführungen ergeben zusammen ein facettenreiches Tongefüge, das im Hoffmann’schen Sinne spricht, sich selbst kommentiert, ja in Frage stellt und letztlich ein höheres dialektisches Ganzes ergibt: eine Ton-Dichtung. Chelova kann über den wirkungsvollen Augenblick hinaus in Entwicklungen, in Strukturen denken und gestalten – vielleicht auch deshalb, weil sie Pianistin und Komponistin ist. In diesem Sinne ragt ihre Einspielung aus dem Kreisleriana-Mainstream heraus...Insgesamt aber überzeugt Chelovas technisch souveränes Spiel durch die überzeugende Balance aus Weitblick und Detailsorgfalt, heißem Herzen und kühlem Kopf. Und so lockt ihre Einspielung zu wiederholtem Hören.